Jede Stunde sterben etwa 1000 Menschen an Hunger, nicht eingerechnet die Opfer der ständigen Kriege. Für das Jahr 2050 sagen Experten voraus, dass auf der Erde neun Milliarden Menschen leben werden. Gleichzeitig findet eine andauernde Reduzierung der Landwirtschaftsflächen statt: Anwachsen der Städte und Verkehrsflächen, Abbau von Rohstoffen, Devastierung fruchtbarer Flächen durch den Klimawandel u. a. Für eine ausreichende und gesunde Ernährung aller Erdenbürger können wir uns den Flächenverlust nicht leisten!
Mit dem Verlust an Agrarland steigen die Umweltschäden. Wenn Flächen versiegelt, zersiedelt und zerschnitten werden, gehen viele natürliche Bodenfunktionen verloren. Dazu zählt die Grundwasserneubildung, die Sauerstoffproduktion durch Pflanzen, der Schutz vielfältiger Tier- und Pflanzenarten. Ein anderer Umgang mit dem Agrarland ist somit ein wichtiger Baustein im Kampf gegen Hunger und Klimawandel.
Dieser gegenwärtige ständige „Landschaftsfraß“, gleicht einem Krebsgeschwür der Wachstumsgesellschaft.
Jedes Land und jeder Bürger kann zu einer Flächenwende beitragen. Die deutsche Regierung hat sich in der 2002 verabschiedeten Nachhaltigkeitsstrategie vorgenommen, den Flächenverbrauch für Siedlung und Verkehr bis 2020 auf 30 Hektar je Tag zu reduzieren. Das wäre immer noch eine Fläche von 43 Fußballfeldern jeden Tag und von 11.000 Hektar im Jahr. Langfristig brauchen wir ein Null-Reduktionsziel, denn die deutsche Bevölkerung nimmt ja eher ab statt zu.
Von 1992 bis 2012 ist die Siedlungs- und Verkehrsfläche in Deutschland täglich um 105 Hektar gewachsen. Das war eine Fläche von insgesamt 7720 km², die den Landwirten entzogen wurde und sie zu Intensivierungsmaßnahmen zwang. Gegenwärtig liegen wir etwa bei 70 Hektar je Tag. Daran hatte die Finanzkrise seit 2007/08 einen bestimmten Anteil. Den Zusammenhang zwischen Flächenverbrauch und Wirtschaftswachstum macht die folgende Grafik deutlich.
In Zeiten von Krisen und Stagnation zeigt sich eine Delle im Zuwachs der Siedlungs- und Verkehrsfläche. Nicht in der Grafik enthalten sind die Flächen, die wir in anderen Ländern nutzen, z. B. durch die Verlagerung von Industriebetrieben. Bedenklich ist, dass wir nur 2/3 unseres Konsums im eigenen Land produzieren. Daher ist gerade bei uns der sparsame Umgang mit dem Agrarland dringend. Wir könnten z. B. nicht soviel Fleisch verbrauchen, wenn wir alle Futtermittel selbst produzieren müssten.
Zur Umsetzung des 30-Hektar-Ziels hat die Bundesregierung einige gesetzliche Änderungen beschlossen. So wurde die Eigenheimprämie abgeschafft, die unter Kritikern bereits als Versiegelungsprämie bezeichnet wurde. Das Baugesetzbuch und das Umweltrecht wurden konkretisiert, um das Bauen im Außenbereich der Gemeinden zu erschweren und auf den Innenbereich zu lenken. Die Wissenschaft wurde gefordert. So liefen 116 Forschungsvorhaben an Universitäten und Hochschulen mit dem Ziel von Lösungsvorschlägen zur Reduzierung der Flächeninanspruchnahme (REFINA von 2008 bis 2011). Themen waren Gebote/Verbote, ökonomische Instrumentarien, Recyclingreserven, umweltgerechte Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen. Zurzeit wird in 50 Modellkommunen erprobt, ob Flächenausweisungszertifikate ein nützlicher Weg sind. Dabei werden Ausweisungsrechte zugeteilt, die bei Nichtbedarf verkauft werden können.
Positiv an diesem Instrumentarium ist, dass Ziele gestellt und kontrolliert sowie dass diejenigen, die Flächen verbauen, zur Kasse gebeten werden. Problematisch erscheint mir, dass reiche Kommunen nach wie vor auf diese Weise kaum zur Sparsamkeit angehalten werden dürften.
Ökonomische Instrumentarien zu verfeinern wird m. E. nicht ausreichen. Wir brauchen eine qualitativ andere Marktwirtschaft, in der die Preise auch die ökologische Wahrheit sagen. Sie müssen in den Produktketten den Ressourcenaufwand voll widerspiegeln. Dazu können Ökosteuern genutzt werden. Ökologisch richtige Preise erleichtern es, unsere Produktions- und Lebensweise zu ändern. Fördermittel aus dem so akkumulierten Steueraufkommen sollten intelligent für den Strukturwandel eingesetzt werden. Hier hat der Staat eine zunehmende Verantwortung. Dies kann beim Flächenrecycling beginnen, dass zu wenig gefördert wird. Brachen sind zu teuer und bleiben zu oft liegen.
Sowohl Planer als auch Verbraucher müssen sich über den Preis angesprochen fühlen, andere Antworten als bisher zu finden. Fragen sind zum Beispiel:
- Muss die Wohnfläche je Einwohner ständig ansteigen?
- Braucht jede lärmbelastete Gemeinde eine Umgehungsstraße?
- Müssen wir täglich 200-400 Gramm Fleisch essen?
- Muss 1/3 unserer Lebensmittel im Abfall landen?
- Brauchen wir Erdbeeren im Winter?
Ein Bewusstseinswandel hat bereits begonnen, besonders bei der Jugend. Er wird aber erst dann zu einer Massenerscheinung, wenn Preise und Fördermittel mitspielen.
Schon wenn ein größerer Bevölkerungsanteil sich auf eine vegetarische Ernährung umstellen würde, spart das landwirtschaftliche Flächen und schont die Umwelt.
Ein Vegetarier benötigt für seine jährliche Ernährung 0,18 Hektar Land. Wer 400 Gramm Fleisch je Tag isst, verbraucht im Jahr die vierfache Fläche. Dem Klima würde es gut tun, denn der landwirtschaftliche Tierbestand erzeugt schädliche Klimagase wie CO2 und Methan. Der Druck auf Soja- und Fleischimporte würde nachlassen und somit die Entwicklungsländer entlasten, die für uns Tiere mästen oder Soja als Viehfutter anbauen. Wir in den Industrieländern sollten weltweit ein gutes Beispiel geben, wie wir mit den Rohstoffen und der Erde umgehen – in der Verantwortung für alle Erdenbürger.
Es gibt bereits zu viele Völker, die nicht überlebt haben oder vom Aussterben bedroht sind. Der Häuptling der Duwamish, Seattle stellte schon vor 160 Jahren angesichts der Frage, ob er das Land seines Volkes verkaufe, besorgt fest: „Der Hunger des weißen Mannes wird die Erde verschlingen und nichts zurücklassen als eine Wüste“ Es liegt an uns, dass er nicht Recht behält! (2)
Jean Ziegler, ein bekannter Kritiker unserer Wirtschafts- und Lebensweise, ist überzeugt, dass genug Gelder da sind, um einen globalen Strukturwandel zu finanzieren. Dabei denkt er an den Abbau der Rüstungsproduktion und der Finanzspekulation. Er ist überzeugt, dass die Zivilgesellschaft „einen neuen planetarischen Gesellschaftsvertrag“ durchsetzen und mehr Verteilungsgerechtigkeit erreichen wird. (3)
1) Rita Kindler: „Landschaftsfraß – Flächenwende in Sicht? Edition bodoni 2005 (siehe auch www.landschaftsfrass.de)
2) Rita Kindler/Tom Kirschey: „Könnt Ihr denn mit der Erde tun, was Ihr wollt?“ edition bodoni 2010
3) Jean Ziegler im Interview mit Martin Lejeune, Neues Deutschland vom 20.04.2010, S. 3