Seit 1995 gibt es einen treffenden Leitsatz für die Umweltbildung von Raingard Knauer und Petra Brandt:
Ich schütze nur, was ich liebe.
Ich liebe nur, was ich kenne.
Ich kenne nur, was ich wahrnehme.
Ich nehme nur wahr, was für mich eine Bedeutung hat
....... und diese Bedeutung vermitteln Erwachsene den Kindern.
Das Bedauerliche an diesem Leitsatz ist, dass man in den Anfangsjahren der Umweltbildung nach der zweiten Zeile Schluss gemacht hat oder ihn derart verkürzte, dass es nur noch hieß: Ich schütze nur, was ich kenne.
In der Konsequenz ergab sich daraus, dass die meisten Zuständigen und Verantwortlichen davon ausgegangen sind, Kinder brauchen nur viel Wissen und Kenntnisse und schon sind sie die besten Natur- und Umweltschützer. Diesem Irrtum kommt man jetzt allmählich auf die Schliche.
Seit Jahren belegen nun Studien wie die Shell-Studien, und Untersuchungen, sowie der Jugendreport (Link), dass es um die Kenntnisse der Kinder und Jugendlichen im Bereich Umwelt und Natur nicht gut bestellt ist. Artenkenntnisse gehen verloren und Naturschutzverbände sind für aktives Mitmachen nicht mehr interessant.
Inzwischen kann man von einem verkrampften Verhältnis von Kindern zur Natur ausgehen. Viele Kinder fühlen sich mittlerweile fremd in der Natur, weil ihre Eltern absolute Sicherheit für die Sprößlinge wollen. Die Natur wird nicht mehr als Lebensraum wahrgenommen, sondern sie wird besucht, so wie ein Museum. Bitte nichts anfassen ist die Devise bei einem Spaziergang im Wald oder auf der Wiese. Die Sorge oder sogar Angst der Eltern vor dem Unbekannten der Natur überträgt sich und die Unbefangenheit der Kinder im Umgang mit ihrer natürlichen Umgebung geht verloren.
Kindern fehlen heutzutage die Erfahrungen, die man beim freien Spiel in der Natur, im Wald, auf der Wiese, in einer Pfütze, an einem Fluss oder See sammeln kann. Heute klettert niemand mehr auf Bäume, nein, heute geht man in den Hochseilgarten. In der Natur haben Kinder Angst vor Zecken, Krankheiten, Allergien und andere „schlimme“ Gefahren. Und wer vermittelt ihnen das? Es ist das Zusammenspiel aus medialen Horrorszenarien, was alles aus der Natur kommen kann, und den häufig übertriebenen Ängsten der Eltern und Erwachsenen. Bei Kindern lähmen übertragene und nicht einzuordnende Ängste die Kreativität und schränken das Handeln ein. Wie sicher sitze ich doch hinter einem Computer.
Nun ist es aber so, dass der Leitsatz der Umweltbildung eben noch die Komponente des Wahrnehmens, der Bedeutung und wer diese Bedeutung vermittelt, hat. Im Klartext gesprochen kann Umweltbildung nur funktionieren, wenn
- die Neugierde der Kinder unterstützt und gefördert wird,
- die Wahrnehmungsfähigkeit der vernachlässigten Sinne wie Hören, Riechen, Schmecken und Fühlen erweitert wird,
- eine Sensibilisierung von Zusammenhängen (also fächerübergreifendes Lernen) ermöglicht wird und
- durch soziales Lernen die Natur kennengelernt wird.
Im Leitsatz der Umweltbildung steht, dass die Erwachsenen eine entscheidende Rolle spielen. Durch die Vermittlung von Verboten: Klettere nicht auf Bäume! Reiß keine Blumen ab! Fass nicht alles an! Mach dir nicht die Sachen dreckig! Geh nicht durch die Wiese! … geben Erwachsene die Bedeutung von Natur an die Kinder weiter. So ist es kein Wunder, dass Kinder die Natur für extrem verletzlich halten. Ich unterstelle mal, dass das gar nicht so gewollt ist. Aber was soll ein Kind im Wald, wenn es nichts darf? Wenn es die natürliche Neugier, alles zu „begreifen“, nicht befriedigen kann.
Jüngst hat man nun festgestellt, dass Naturerfahrungen für die kindliche Entwicklung ebenso essentiell sind wie soziale Kontakte, gesundes Essen und ausreichender Schlaf. Nach der Meinung des Autors Richard Louv müsse ADHS eigentlich „Naturdefizitstörung“ heißen. Kinder werden krankhaft zapplig, wenn ihnen das freie Spielen im Wald und auf der Wiese fehlt. Der Biologe und Philosoph Andreas Weber behauptet sogar „Natur heilt ADHS“. Eine mutige These. Auf jeden Fall bestätigen viele Studien, dass die Natur für die gesunde Entwicklung der Psyche wichtig ist.
Allzu gern verkennen die Erwachsenen, dass die beste Umweltbildung VORLEBEN heißt. In diesem Sinne wird deutlich, dass Eltern und die Familie eine große Aktie an der Naturbildung ihrer Kinder haben und Kita und Schule diese Aufgabe nicht komplett übernehmen können.