So heißt es in der Pressemitteilung der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales vom 20.03.2013. Anscheinend logisch werden zwei Sachverhalte miteinander verbunden, so dass man keinen Zweifel an der Richtigkeit hegen könnte. Genauer betrachtet ergeben sich aber aus der Absicht zur Eindämmung des Eichenprozessionsspinners und dem Einsatz von Bioziden in Eichen eine Reihe von Fragen, auf die es bisher noch keine Antworten gibt.
Der Eichenprozessionsspinner ist ein einheimischer Nachtfalter, der sich in spezieller Weise gegen Fressfeinde zu schützen weiß. Seine Raupen weisen Brennhaare unterschiedlicher Länge auf, die das Nesselgift Thaumetopoein enthalten. Im Frühjahr fressen die Raupen Eichenlaub und machen ganze Bäume kahl. Dann „prozessieren“ sie in langen Reihen am Boden zum nächsten Baum.
Beim Menschen kann das Nesselgift der Brennhaare allergische Reaktionen auslösen. Symptome sind starker Juckreiz der Haut sowie Reizungen der Augen oder der Atemwege. Werden die Brennhaare eingeatmet, kann es zu Reizungen der Mund- und Nasenschleimhaut führen. Mögliche Folgen sind Bronchitis, Husten und Asthma. In Einzelfällen kann es auch zu allergischen Schockreaktionen kommen. In einer neuen Studie zeichneten jedoch mehrere Stoffe für die beobachteten Allergien verantwortlich. Das Thaumetopoein der Raupe als krankmachender Stoff ist damit wieder zweifelhaft.
Der Eichenprozessionsspinner ist eine der über hundert Schmetterlingsarten, die Eichen als Nahrungshabitat und Vermehrungsraum nutzen. Neben diesen Schmetterlingsarten beherbergt die Krone einer großen Eiche bis zu 1.000 weitere Insektenarten. Darunter auch Arten, die durch die FFH-Richtlinie europaweit besonders geschützt sind, unter anderen der Eichenheldbock oder der Eremit. Zählt man noch die vielen Vogel- und Säugetierarten hinzu, die in oder von Eichen leben, ist dieser Baum ein Ort der größten Artenvielfalt, den man durch Einsatz von Bioziden nicht gefährden sollte.
Weiter heißt es in der Pressemitteilung:
„Der Eichenprozessionsspinner hat sich in den vergangenen zwei Jahren vor allem im Süden und Westen der Stadt stark ausgebreitet. Da somit auch die gesundheitliche Beeinträchtigung der Berlinerinnen und Berliner deutlich gestiegen ist, initiierte die Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales im vergangenen Jahr eine verwaltungsübergreifende Arbeitsgruppe, um ein abgestimmtes Vorgehen zwischen Land und Bezirken zu vereinbaren. Eine alleinige herkömmliche mechanische Bekämpfung des EPS erschien aus organisatorischen und finanziellen Gründen nicht mehr realistisch, somit wurde ein präventives Vorgehen zwischen der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales, der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt, dem Berliner Pflanzenschutzamt, den Berliner Forsten sowie den Bezirken vereinbart.“
Unklar bleibt, von welcher gestiegenen gesundheitlichen Beeinträchtigung hier ausgegangen wird. Gesicherte Kenntnisse oder eine Übersicht der tatsächlichen Fälle von allergischen Reaktionen auf die Brennhaare des Eichenprozessionsspinners liegen von Seiten der Ärzte nicht vor. Sicherlich gehören diese Symptome nicht zum Alltagsgeschäft der Berliner Ärzte. Eine Diagnose dürfte auch schwierig sein, da in den seltensten Fällen ein eineindeutiger Rückschluss auf den Eichenprozessionsspinner möglich ist.
Abschließend wird in der Pressemitteilung der Einsatz des Biozides benannt:
„Die Bezirksämter von Berlin werden im Zeitraum von Mitte April bis Mitte Mai überall dort, wo befallene Eichen vorhanden sind und sich Menschen häufig und über längere Zeit aufhalten, wie zum Beispiel in der Nähe von Kitas, auf Schulhöfen oder an Bushaltestellen, ein Biozid mit dem Wirkstoff „Margosa-Extrakt“ ausbringen lassen. Es handelt sich dabei um ein Fraßgift mit hohem Wirkungsgrad (circa 75 Prozent), das ohne rechtliche Beschränkungen anwendbar, verfügbar und weitgehend umweltverträglich ist. Bei seiner Anwendung werden nur solche Insekten beeinträchtigt, die diesen Wirkstoff durch ihre Fraß- oder Saugtätigkeit aufnehmen. Bienen sind deshalb durch diesen Wirkstoff nicht gefährdet. Der begrenzte Zeitraum der Anwendung ergibt sich aus dem Lebenszyklus des Eichenprozessionsspinners, der bereits ab Ende Mai, dem dritten Larvenstadium, seine Brennhaare ausbildet.“
Der Schutz der Bevölkerung steht natürlich unzweifelhaft an erster Stelle, wobei nach wie vor ungeklärt ist, wie groß die tatsächliche Gefahr durch die Brennhaare der Raupen wirklich ist.
In den vergangenen Jahren hat man die Eindämmung des Eichenprozessionsspinners auf mechanischem Wege praktiziert und dabei weder die Artenvielfalt in den Eichen noch die Gesundheit der Menschen gefährdet.
Das empfohlene Biozid wirkt keineswegs selektiv auf den Eichenprozessionsspinner, sondern durchaus auf eine Vielzahl anderer Insekten. Die Auswirkungen auf weitere Tierarten wie Fledermäuse, Amphibien, Vögel und Wirbellose sind bisher unzureichend erforscht. Ziemlich absurd ist in diesem Zusammenhang auch die Tatsache, dass das empfohlene Biozid mit dem Wirkstoff Margosa-Extrakt als „umweltgefährlich“ gekennzeichnet ist und beim Menschen allergische Reaktionen hervorrufen kann. Der Hersteller verweist darauf, dass das Biozid auch für die Behandlung von Hautparasiten bei Reptilien verwendet wird. Allerdings kann jeder Terrarianer ohne Konsultation eines Tierarztes das Biozid einsetzen, da es nicht als Medikament geführt wird. Infolge der Anwendung des Biozides sind jedoch Todesfälle bei Reptilien bekannt geworden. So harmlos kann das Präparat also nicht sein.
Das Gift verbleibt auf und in den Blättern der Eichen und kann über den Boden ins Grund- bzw. Trinkwasser gelangen. Die mittel- bis langfristigen Folgen für Mensch und Umwelt, Flora und Fauna sind unbekannt.
In einigen Bundesländern werden zur Bekämpfung des Eichenprozessionsspinners auch Insektizide eingesetzt. Egal was zum Einsatz kommt, die Folgen für die Fauna werden dramatisch sein, da durch flächendeckenden Einsatz von Giften nicht nur alle Insekten betroffen sind. Der Eingriff in die Nahrungsketten ist gravierend. Das Artensterben geht somit weiter.
Für Berlin stellt sich die Frage, warum die bisherige mechanische Bekämpfung zum Gesundheitsschutz der Bevölkerung nicht weiter geführt wird. Die Kosten allein können es nicht sein, denn an innerstädtischen Standorten sind die Kosten des Biozideinsatzes, wenn alle Sicherheitsvorkehrungen eingehalten werden, im Vergleich zur mechanischen Bekämpfung nicht niedriger.
Im Bezirk Lichtenberg wird es nicht zum Einsatz der Biozide kommen. Das Bezirksamt hat beschlossen, dass die Bekämpfung des Eichenprozessionsspinners ausnahmslos mechanisch erfolgt. Vorkommen der Raupen des Schmetterlings auf öffentlichen Flächen sollten sofort dem Tiefbau- und Landschaftsplanungsamt gemeldet werden, damit die Bekämpfung sofort eingeleitet werden kann. Fragen zur Biologie und Ökologie oder zum Biozideinsatz beantwortet das Umwelt- und Naturschutzamt. Sollte es durch Raupen des Schmetterlings nachweisbar zu allergischen Reaktionen kommen, ist der erste Weg der zum Hautarzt. Das Gesundheitsamt sollte informiert werden. Es gibt in Berlin bisher keine Statistik, wann und bei wie vielen Personen in den vergangenen Jahren tatsächlich zu allergische Reaktionen aufgetreten sind, die zweifelsfrei auf den Eichenprozessionsspinner zurückzuführen waren.
Beate Kitzmann