Umweltbüro Lichtenberg

Stadttauben – Wildtier oder Haustier?

Der Zufall oder auch das vorsätzliche und von dem Halter gewollte Aussetzen führten dazu, dass sich Haustauben in unseren Siedlungen niederließen und nicht wieder zurück zu ihrem Taubenschlag flogen. Es entstand innerhalb weniger Generationen und durch Ergänzung weiterer Haustauben die heutige Stadttaube. In der Stadt finden Tauben hervorragende Bedingungen zum Leben, denn die Gebäude und Straßenschluchten dienen als Brutplätze und in Form von Essensresten und Abfällen finden sie Nahrung. Vor allem die Ruinenlandschaft in Städten infolge des zweiten Weltkrieges und die Folgen der späteren Wohlstandsgesellschaft führten dazu, dass den kleinen Taubenbeständen, welche zum typischen früheren Stadtbild gehörten, eine Bestandsexplosion widerfuhr. Heute wird davon ausgegangen, dass in Berlin 12.000 bis 14.000 Brutpaare leben – zu Freud und Leid vieler Stadtbewohner:innen.

Es kommt häufiger vor, dass Stadttauben und Ringeltauben verwechselt werden. Daher soll hier noch einmal kurz der Unterschied erklärt werden. Stadttauben sind in ihrer Erscheinungsform sehr vielfältig, da immer neue Flüchtlingstauben neue Farben und Gefiedervarianten einbringen. Die Ringeltaube (Columba palumbus) hingegen, sieht immer gleich aus. Sowohl Kopf, Brust, Nacken als auch Flügel und Rücken sind hellgrau. Namensgebend ist der weiße Fleck um den Hals, der einem Ring ähnelt.

Häufig führen die von Menschen angezüchteten Eigenschaften der Stadttaube zu Problemen in den urbanen Bereichen. Stadttauben sind gesellig, sie kommen meist in großen Gruppen vor. Von vielen Menschen wird die Stadttaube aufgrund des konzentrierten Kotanfalles, wegen des Gurrens und des Flügelschlagens als lästig empfunden. Stadttauben werden auch als „fliegende Ratten“ bezeichnet, da man sie fälschlicherweise als Krankheitsüberträger wahrnimmt. Nichtsdestotrotz werden bei Sanierungen oder Neubauten zahlreiche Maßnahmen ergriffen, um die Gebäude von Stadttauben frei zu halten. Doch Vergrämungsmaßnahmen, wie Netze und Spikes, führen immer wieder dazu, dass Tiere darin verenden.

Tierschutzrechtlich besteht eine staatliche Pflicht zum Schutz der Stadttaube. Die Pflicht ergibt sich sowohl aus dem Grundgesetz zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlage als auch in der Konkretisierung in der Verfassung von Berlin: „Tiere sind als Lebewesen zu achten und vor vermeidbarem Leiden zu schützen.“ (Art. 31 Abs. 2). Hieraus ist abzuleiten, dass das Land Berlin grundsätzlich dazu verpflichtet ist, dass Leid der Stadttauben zu verhindern.

Aus der Problematik rund um die Stadttaube ist nun zu klären, ob die Stadttaube zukünftig als Haustier oder als Wildtier gelten soll. Aus beiden Definitionen ergeben sich unterschiedliche An- aber auch Herausforderungen beim Umgang mit den Tieren. Die Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher-und Klimaschutz hat sich dazu noch keine abschließende Meinung gebildet. Solang diese Entscheidung noch nicht getroffen ist, bewegen sich sowohl die Bezirke, Betroffene der Stadttauben als auch Stadttaubenfreunde in einem grauen Rechtsbereich.

Um zu verstehen, welchen Unterschied die Einstufung der Stadttaube als Haus- oder Wildtier hat, möchten wir hier beide Szenarien so neutral wie möglich darstellen.

Szenario Haustier    Szenario Wildtier                                                     

Das Land Berlin entscheidet sich, dass die Stadttaube als Haustier gilt.

Die Entscheidung trifft sie, aufgrund folgender Begründungen:

-      Die Stadttaube ist ein domestiziertes Tier und somit immer ein Haustier.

-      Die Stadttaube kann sich nicht mit Wildtaubenarten paaren und genetisch mischen. Eine Verwilderung ist daher nicht möglich. Die genetischen Merkmale der Stadttaube entsprechen somit dem DNA-Muster von Haustaubenrassen und es ist keine Unterscheidung möglich.

-      Das typisch angezüchtete Verhalten (Lege- und Brutleistung, Orientierungssinn) geht auch nach mehreren Generationen nicht verloren.

-      Stadttauben sind nicht an das Leben in freier Wildbahn angepasst und können nur durch gewollte oder ungewollte menschliche Unterstützung überleben (Siedlungsstruktur, Nahrungsangebot).

-      Bei der Stadttaube handelt es sich um ein ausgesetztes bzw. entflohenes Tier bzw. deren Nachkommen und ist daher rechtlich eine Fundsache.

Folgen: Neben den Tierschutzgesetzen ist vor allem die Einstufung als Fundsache ausschlaggebend für die staatliche Pflicht zum Schutz der Stadttaube. Hiernach ist ein ausgesetztes bzw. entflohenes Tier und deren Nachkommen durch eine Kommune in Obhut zu nehmen, so lang der Halter nicht ausfindig gemacht werden kann. Das Land Berlin ist danach der vorübergehende Halter und zur Erfüllung der Halterpflichten (insbesondere Fütterung, Pflege und tierärztliche Versorgung) bestimmt. Dieser Verpflichtung kann das Land Berlin durch ein professionelles Taubenmonitoring bzw. –management gerecht werden. Als Mittel zur Umsetzung dieser Pflicht wäre das Modell der betreuten Taubenschläge denkbar. Das sogenannte Aachener bzw. Augsburger-Modell hat sich bereits in mehreren Kommunen bewährt.

Besitzer:innen bereits bestehender Taubenschläge würden mit der Einstufung der Stadttaube als Haustier automatisch der/die entsprechende Halter:in werden.

Das Land Berlin entscheidet sich, dass die Stadttaube als Wildtier gilt.

Die Entscheidung trifft sie, aufgrund folgender Begründungen:

-      Die Stadttaube ist ein freilebendes und vom Menschen unabhängiges Tier geworden. Sowohl Nahrungsangebote als auch Brutplätze werden eigenständig erschlossen, so wie es auch andere wildlebende Tierarten machen (z. B. Nebelkrähen, Haussperlinge etc.). Sie sind somit wildlebende Tiere, gleichwohl ihres Ursprungs als Haustier.

-      Auch die Straßentauben unterliegen einer natürlichen Selektion. Durch Konkurrenz um Nahrung und Brutplätze sowie durch Prädation durch Greifvögel wird der Bestand vital gehalten und nur die bestandsangepassten Individuen geben durch Fortpflanzung ihre Gene weiter. Stadttaubenbestände können daher verwildern und typisch angezüchtete Verhaltensweisen verlieren.

-      Bei der Stadttaube handelt es sich meist um die Nachkommen des ursprünglich ausgesetzten bzw. entflohenen Tieres und ist keineswegs mehr dem/der Halter:in zuzuordnen. Das Tier ist somit herrenlos.

Folgen: Über das Tierschutzgesetz hinaus, ergibt sich aufgrund der Einstufung als Wildtier der allgemeine und besondere Artenschutz gemäß dem Bundesnatur­schutzgesetz für die Stadttaube. Hiernach wäre die Stadttaube wie auch alle weite­ren europäischen Vogelarten geschützt

Trotz diesem Schutz kommt der Kommune keine allgemeine staatliche Pflicht zum Schutz der Tauben wie der Fütterung, Pflege und tierärztlichen Versorgung zu. Es ergibt sich also keine Halterpflicht und folglich auch keine rechtliche Verpflichtung zur Einführung eines professionellen Taubenmonitoring bzw. –management. Die Stadttauben sind ähnlich wie entkommene Tiere, deren Besitzer:in das Eigentum aufgegeben hat zu behandeln und hiernach nicht automatisch im vorübergehenden Besitz des Landes Berlin.

Auch bestehende Taubenschläge führen nicht automatisch zu einem Status als Halter:in der Stadttauben.

Die Stadttaube hätte dann den gleichen Status wie andere wildlebende Tiere in der Stadt.

 

Im Berliner Koalitionsvertrag (2021-2026) ist folgendes Ziel benannt: „Das Land Berlin wird ein Konzept erarbeiten und umsetzen, das unter anderem betreute Taubenschläge beinhaltet, welche mit den Bezirken und Tierschutzvereinen etabliert werden sollen.“ Die Population der Stadttauben und daraus resultierende Mensch-Tier-Konflikte wie Verschmutzungen durch Kot sowie Bruten auf Balkonen sollen auf diesem Weg minimiert werden.

Ob dieses Ziel durch die Bereitstellung von Taubenschlägen erreicht werden kann, ist umstritten. Wissenschaftliche Studien zeigen u. a., dass zu den begrenzenden Faktoren der Stadttaubenpopulation Nahrung sowie Fortpflanzungs- und Ruhestätten zählen. Stellen wir durch betreute Taubenschläge von beiden Faktoren mehr bereit, führt das zu einer steigenden Stadttaubenpopulation. Taubenschläge können nur funktionieren, wenn die umliegenden Nistplätze konsequent und fachgerecht verschlossen werden und die Fütterung außerhalb des Taubenschlages unterlassen wird. Beides wird in der Praxis nur schwer umsetzbar sein.

Nun liegt ein erster Entwurf für das zukünftige Taubenmanagement in Berlin vor. Demnach soll ein Konzept erarbeitet werden, um das Konfliktpotential zu reduzieren und eine Verbesserung des Tierschutzes zu erreichen. Dazu sollen innerhalb der nächsten Jahre Pilotprojekte in einzelnen Berliner umgesetzt und evaluiert werden. Fünf Maßnahmen sollen zur Verbesserung der Situation führen:

  • Information der Bürger:innen über einen tierschutzgerechten Umgang mit Stadttauben

    Dazu gehört eine Plakatkampagne und ein Internetauftritt, die zu artgerechtem Futter und tierschutzgerechten Vergrämungsmaßnahmen informieren.

  • Benennung einer bezirklichen Ansprechpartner:in

    In den Aufgabenbereich dieser Position fallen dann unter anderem die Planung/Umsetzung von Taubenschlägen und deren Evaluation/Betreuung und fungiert als Schnittstelle zwischen Tierschutzvereinen und –initiativen und den bezirklichen Veterinär-, Ordnungs-, Straßen- und Grünflächenämtern.

  • Nachdem geeignete Orte für Taubenschläge gefunden wurden, sollen sie realisiert und dann auch betreut werden. Die Betreuung umfasst das artgerechte Füttern und das Austauschen der Eier.

  • Ein wichtiger Schritt sind tierschutzkonforme Vergrämungsmaßnahmen. D. h. keine spitzen Spikes an denen sich Tauben verletzen oder Netze, in denen sie sich verfangen können. Zudem sollen schwer erreichbare Nistplätze an Gebäuden fachgerecht verschlossen werden. Zu widerrechtlichen Vergrämungsmaßnahmen zählen Klebepasten, spitze Vogelabwehr-Spikes, nicht fachgerecht angebrachte oder gewartete Netze.

  • Auch tierschutzgerechtes Bauen wird gefordert. Dazu zählt der Ersatz von wegfallenden Brutplätzen für Stadttauben. Vogelschlag soll reduziert werden.

Es bleibt abzuwarten, wie die Bezirke auf den Entwurf des Berliner Taubenmanagements reagieren und wie sich eventuell umgesetzte Maßnahmen auf die Gesundheit und den Bestand der Berliner Stadttauben auswirken. Ohne Wenn und Aber ist jedoch festzustellen, dass eine schnelle Entscheidung dringend anzuraten ist und das nicht nur im Sinne von uns Menschen.

 

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