Wildtiere erobern die Stadt, liest man dieser Tage vermehrt nicht nur in der Berliner Presse. Nimmt die Anzahl der Wildtiere in der Stadt wirklich zu?
Zu den Wildtieren zählen ja nicht nur Wildschweine, Rehe und Füchse, sondern bspw. auch Ameisen und Vögel. Tierarten, die es hier bei uns gibt, haben sich an das Stadtleben angepasst. Aufmerksamkeit erregen vor allem die größeren Arten, ich nenne sie mal die „Big Five“: In Deutschland bzw. in Berlin reden wir von Wildschwein, Fuchs, Waschbär, Marder und Kaninchen. Eigentlich müssen wir diese Auflistung inzwischen um den Biber ergänzen, mit rund 100 geschätzten Exemplaren gehört er zu den Wildtieren, die sich in Berlin etabliert haben und sich erfolgreich reproduzieren. Eine Großstadt wie Berlin kann aber niemals eine „Arche Noah“ sein. Sie ist kein Refugium, bietet den Tieren keinen Platz zum Zurückziehen.
Entstehen aus dem dichten Nebeneinander von Mensch und Tier in der Großstadt Missverständnisse?
Grundsätzlich ist es so, dass Wildtiere mit Menschen weniger Probleme haben, als Menschen mit Wildtieren. Dort wo Menschen eng nebeneinander leben, können natürlich Missverständnisse zwischen den Menschen als auch zwischen Mensch und Tier sowie zwischen Mensch und Pflanze entstehen. Berlin hat dreieinhalb Millionen Einwohner und ich glaube, es gibt genauso viele verschiedene Ansichten über das Zusammenleben mit der Natur. Klar ist eins: Wir sind eine Stadt und wir bleiben eine Stadt!
Häufig rufen Wildtiere kein Ärgernis hervor, sondern erst einmal Irritationen und Unsicherheit beim Menschen. Für uns ist ungewohnt, dass sich die Tiere nicht heimlich oder ausschließlich nachts bewegen. Findet ein Wildschwein dann auch noch leckere Engerlinge im Rasen und wühlt danach, entstehen größere Probleme. Interessant finde ich, dass alle Kinder noch heute in der Schule lernen, wie man sich verhält, wenn man Pferden gegenüber steht. Dass man Pferde nicht anfassen soll, wenn sie die Ohren anlegen – das weiß wirklich jedes Kind. Dass man Wildtiere nicht füttern soll, man keine Angst vor Wildschweinen haben muss und Füchse nicht immer Tollwut haben, wissen die Wenigsten. Diese Wissenslücken gilt es zu schließen und auch zum 1.000sten Mal zu wiederholen, dass ein Mutterreh nicht neben dem Rehkitz stehen muss, dass es ganz normal ist, wenn ein Kitz mal alleine ist. Diese Missverständnisse verdeutlichen, dass wir keine Probleme mit Wildtieren haben, sondern fehlendes Wissen.
Welche Verhaltensregeln sind bei einer Begegnung mit Wildtieren einzuhalten?
Grundsätzlich rate ich Jedem, sich erst einmal darüber zu freuen, dass man Wildtiere sieht. Möchten Sie das Tier beobachten, sollten Sie stehen bleiben. Auf keinen Fall sollten Sie sich dem Tier nähern und versuchen, es anzufassen oder gar zu füttern. Das Füttern von jagdbaren Wildarten wie Fuchs und Wildschein ist verboten! Nicht weil wir die Tiere nicht mögen, sondern weil wir wollen, dass es Wildtiere bleiben. Verlieren beispielsweise Füchse ihre natürliche Scheu, geben ihre Distanz dem Menschen gegenüber auf, dann kann es zu Situationen kommen, in denen sich das Tier durch den Menschen bedroht fühlt und sich wehrt. Das tun übrigens auch Ameisen und Hunde, diese werden aber nicht erschossen. Der Fuchs schon!
Bei einer Begegnung mit Wildschweinen kann es auch sinnvoll sein, einen Augenblick stehen zu bleiben, das Tier anzusprechen. Nicht weil man eine Antwort erwartet, sondern um sicher zu gehen, dass einen das Tier registriert hat und sich nicht erschreckt und zum Angriff übergeht.
Was mache ich, wenn ich ein verletztes Wildtier finde?
Die erste Frage, die es zu beantworten gilt, ist: Ist das Wildtier wirklich so erheblich verletzt, dass ein Überleben ohne medizinische Versorgung nicht möglich ist. Zwei Drittel der Finder von Wildtieren können diese Frage nicht beantworten.
Hilflose Tiere sollten nicht eingesammelt oder mitgenommen werden. Jede Entnahme aus der Natur führt einerseits zur Prüfung der Herkunft des Wildtieres und zur Frage, ob eine Gesundung bei geeigneter Pflege möglich ist. Zweitens muss geklärt werden, wer die Genesung und das Aussetzen zurück in die Wildnis finanziert. Gerade die Frage nach der Finanzierung klingt für viele Menschen grausam. Es gibt aber keine staatliche Stelle, die für verletzte Wildtiere zuständig ist bzw. für die Genesung und Auswilderung aufkommt. In den überwiegenden Fällen ist die Aufnahme der verletzten Tiere auch überhaupt nicht erforderlich. Wildtiere sind zäh, auch ein Fuchs mit drei Beinen kann in der Natur überleben und alt werden.
Ist ein Tier aber erheblich verletzt, darf man es mitnehmen und einem Tierarzt vorstellen. Hier ist allerdings Selbstverantwortung gefragt. Tierschutzverbände und Naturschutzvereine können nur erste Hilfe anbieten, die Unterbringung in Wildtierstationen erfolgt meist nur noch bei streng geschützten Arten, da hier für den Bestandserhalt das Überleben jedes einzelnen Individuums erforderlich ist.
Deutschland ist seit 2008 tollwutfrei. Aufklärungsarbeit in der Bevölkerung und die regelmäßige Impfung von Haustieren hat diese Viruskrankheit stark eingedämmt. Gibt es weitere Übertragungskrankheiten bei Wildtieren?
Nicht nur Tiere, auch Pflanzen oder andere Menschen können Krankheiten übertragen, wir leben ja nicht unter einer Glasglocke. Bei den Krankheiten, die von Wildtieren übertragen werden können, sind für uns Menschen kaum lebensgefährliche dabei. Bei den Füchsen kommt allenfalls noch der Fuchsbandwurm in Betracht, wobei wir in Berlin seit über 20 Jahren keinen Nachweis für einen Befall feststellen konnten. Im Brandenburger Oder-Spreegebiet sind aber um die 30 Prozent der Füchse von diesem Bandwurm befallen. Grund hierfür ist die Nahrung, die sich in der Stadt ganz anders zusammensetzt als in ländlichen Räumen. Staupe und Räude sind für den Menschen weniger gefährlich, eher für unsere nicht geimpften Haustiere.
Viel wahrscheinlicher ist es aber, dass wir die Tiere mit Krankheitserregern infizieren. Deshalb sollte man, auch wenn es manchmal schwer fällt, Wildtiere nicht anfassen. Die empfindlichen Schleimhäute von Lurchen, Kröten und Co können durch Kontakt mit eingecremten Händen leiden. Das kann mitunter bis zum Tod des Tieres führen. Wir wissen alle, dass es sinnlos ist eine Kröte zu küssen, da eine Metamorphose zum Prinzen eher unwahrscheinlich ist. Also brauchen wir diese auch nicht anzufassen.
Welche Gefährdungsursachen gibt es außer dem Verlust des Lebensraumes für die Tiere der Großstadt?
Gefährdungsursachen sind sehr vielfältig und vor allem anthropogen, d. h. durch den Menschen verursacht. Der Straßenverkehr ist die häufigste Todesursache für Wildtiere in der Stadt. Auch die Nahrungsquelle kann eine Gefährdungsursache sein, falls diese mit Rattengift angereichert ist.
Für die Vogelwelt geht eine bedeutende Bedrohung von den Glaswänden und großen Fensterfronten in den urbanen Bereichen aus. Hier geht es ja besonders um Schäden, die durch Kollision mit Glas hervorgerufen werden. Täglich sterben europaweit 250.000 Wildvögel durch Vogelschlag an den Scheiben. Diese Zahl sollte man sich immer wieder vor Augen halten, wenn Gefahrenpotenziale betrachtet werden. Die Gefährdung, die von Windkraftanlagen und die Jagd auf bestimmte Vogelarten ausgehen, sind im Vergleich dazu eher nebensächlich. Das will ich auf keinen Fall rechtfertigen, möchte aber, dass wir schauen, was im Vogelschutz europaweit noch zu optimieren ist.
Schützen Aufkleber mit Greifvogelsilhouetten Vögel vor Kollisionen mit Glasscheiben?
Nein, diese Greifvogel-Silhouetten haben nichts mit Vogelschutz zu tun. Für die nächsten Jahre sehe ich eine große Aufgabe darin, Bewohner und Bauherren aufzuklären und die modernen Verfahren, die es zur Minimierung des Vogelschlages schon gibt, weiter zu bewerben. Den Tod von Vögeln durch Kollision mit Glaselementen können wir auch auf diesem Weg nicht ganz ausschalten, horizontale und vertikale Streifen im Abstand von 10 bis 15 Zentimetern auf der Scheibe oder eine UV-Beschichtung können dieses Problem aber deutlich reduzieren.
Ich bedanke mich für das Interview!
Kontakt:
Derk Ehlert
Tel.: 030 9025-1094
Fax: 030 9025-1091
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