Ein gut dokumentiertes Beispiel für direkte negative Auswirkungen von Windenergieanlagen auf die Lebensvielfalt (Biodiversität) sind regelmäßige tödliche Kollisionen von Vögeln und Fledermäusen mit den Windrädern (-flügel). Im Rahmen des Projektes „Umweltverträglichkeit von Windenergieanlagen: Konfliktfeld Fledermäuse und Greifvögel“ widmet sich die Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Ulrich Zeller (Fachgebiet Spezielle Zoologie) von der Berliner Humboldt-Universität diesem Problemfeld bereits seit mehr als zehn Jahren.
Bereits seit Beginn dieses Projektes ist Nicole Starik an der Durchführung und Koordination der Untersuchungen entscheidend beteiligt. Die Biologin, die derzeit am Fachgebiet ihre Doktorarbeit zum Thema „Fledermäuse als Bioindikatoren für die ökologischen Auswirkungen verschiedener Landnutzungsformen in der Kulturlandschaft des Westhavellandes, Brandenburg“ abschließt, besitzt einen großen Erfahrungsschatz zu dieser Thematik und hat zahlreiche Abschlussarbeiten mitbetreut. „Wir sind hier am Fachgebiet vor allem daran interessiert, die Antwortmechanismen verschiedener Tiergruppen mit Blick auf verschiedene Landnutzungsmodelle zu beschreiben, um die Auswirkungen dieser Landnutzungsformen auf das Beziehungsgefüge innerhalb der Ökosysteme besser einschätzen zu können“, so Starik. Die Errichtung von Windparks bedeutet eine einschneidende Veränderung der Lebensraumbereiche betreffender Vogel- und Fledermausarten, die sich zudem innerhalb eines Zeitraums von gerade einmal 20 Jahren vollzog; einer vergleichsweise kurze Zeitspanne, gemessen an den zeitlichen Dimensionen anderer Transformationsprozesse.
Eine Ahnung von der Dramatik dieses Eingriffes erhält man etwa 30 Kilometer westlich des Stadtrands von Berlin, bei Annäherung an das „Windeignungsgebiet Nauener Platte“, einem Untersuchungsgebiet der Berliner Biologen. Seit Mitte der 1990er Jahre wurden hier bis zum heutigen Tag über 190 Windenergieanlagen errichtet bzw. befinden sich in der Planung. Es handelt sich um eines der größten Windeignungsgebiete Deutschlands. Besonderes Konfliktpotenzial ergibt sich zudem aus der räumlichen Nähe dieses riesigen Komplexes von Windparks zum Naturschutzgebiet „Havelländisches Luch“. Letzteres dient nicht nur als Rast- und Brutgebiet für zahlreiche boden- bzw. bodennah brütende Vogelarten, sondern bildet, gemeinsam mit dem Vogelschutzgebiet „Fiener Bruch“ und dem Naturschutzgebiet „Belziger Landschaftswiesen“, einen letzten Rückzugsraum für die vom Aussterben bedrohte Großtrappe (Otis tarda) in Deutschland. Die Staatliche Vogelschutzwarte in Buckow bei Nennhausen koordiniert hier die naturschutzfachlichen Maßnahmen und führt auch die bundesweite Datenbank der Todfunde von Vögeln und Fledermäusen an Windenergieanlagen.
Vor dem Hintergrund dieses Spannungsfeldes zwischen Windkraft und Naturschutz forschen Studierende am Fachgebiet im Rahmen von Abschussarbeiten über die Auswirkungen der Windenergieanlagen auf die Biodiversität im Freiland; bisher wurden bereits 15 Abschlussarbeiten zu diesem Themenkomplex erfolgreich abgeschlossen. Möglich wird diese Feldforschung durch die Unterstützung des Fachgebietes durch die Zwillenberg-Tietz-Stiftung, die im Ortsteil Linde, Märkisch Luch, eine Forschungsstation betreibt und den Studierenden so die nötigen infrastrukturellen Rahmenbedingungen für ihre Freilandstudien bietet. „Erlebnisse unterm Windrad“ verlangen den Studierenden im Rahmen ihrer freilandbiologischen Tätigkeit allerdings auch einiges ab, z.B. mit Blick auf die dem Lebensrhythmus der Fledermäuse angepassten Untersuchungszeiten in der Nacht über einen Zeitraum von mehreren Wochen oder sogar Monaten.
Ein wichtiger Baustein der Untersuchungen ist die Todfundsuche, das systematische Absuchen der Umgebung der Windenergieanlagen nach kollidierten Tieren. Ausgehend vom Sockel wird dabei eine kreisförmige Fläche mit einem Radius von bis zu 250 Metern kontrolliert. Auf diese Weise können kürzlich verendete Tiere systematisch aufgespürt werden. Experimente zur Verschleppungsrate kollidierter Tiere durch Prädatoren (z.B. Raubsäuger oder Greifvögel) zeigen, dass Kontrollintervalle von wenigen Tagen nötig sind. Besonders bei höherer Vegetation im Sockelbereich muss zudem damit gerechnet werden, dass nur ein Teil der Schlagopfer gefunden wird, was zu einer Unterbewertung der Kollisionsrate führen kann.
Das Artenspektrum kollidierter Vögel umfasst mehr als 40 Arten und reicht vom Wintergoldhähnchen (Regulus regulus) bis zum Seeadler (Haliaeetus albicilla). Bei den Fledermäusen sind es besonders die Arten, die auf ihren Wanderungen in die Winterquartiere weite Entfernungen zurücklegen. Dazu zählen vor allem Rauhautfledermaus (Pipistrellus nathusii), Zweifarbfledermaus (Vespertilio murinus) und Großer Abendsegler (Nyctalus noctula).
Ein direkter Zusammenhang zwischen dem Anlagentyp (z.B. Höhe der Anlage bzw. Durchmesser der Rotoren) und der Kollisionsfrequenz von Vögeln bzw. Fledermäusen konnte bisher nicht hergestellt werden. Vielmehr scheint eine bestimmte Kombination von Standort- und Anlagenfaktoren (Nähe zur Gehölzstruktur, Landnutzung auf angrenzenden Agrarflächen, Verkehrs- und Siedlungsstrukturen) dazu zu führen, dass an bestimmten Anlagen regelmäßig Vögel oder Fledermäuse kollidieren, während an direkt benachbarten (z. T. baugleichen) Anlagen kaum bzw. keine Kollisionen nachgewiesen wurden.
Neben der Todfundsuche an den Windenergieanlagen werden auch indirekte Auswirkungen der Anlagen untersucht. Vergleiche zum Vorkommen und zur Dichte verschiedener Tiergruppen (z. B. Arthropoden, Kleinsäuger) im Sockelbereich der Anlagen mit Referenzflächen legen nahe, dass dieser Sockelbereich - besonders auf landwirtschaftlich intensiv genutzten Flächen - einen wichtigen Rückzugsraum für potenzielle Beutetiere vorkommender Fledermaus- und Vogelgemeinschaften darstellt. Diese Konzentration potenzieller Beutetiere könnte wiederum Anziehungspunkt für verschiedene Vogel- bzw. Fledermausarten sein und somit deren Kollisionsrisiko erhöhen.
Des Weiteren konzentrieren sich die Untersuchungen auf die Frage, inwieweit die Muster tödlicher Kollisionen von Vogel- bzw. Fledermausarten an den Windenergieanlagen mit den natürlichen Verbreitungsmustern bzw. dem lokalen Vorkommen dieser Tiere übereinstimmen. Dazu wurden u. a. Verhaltensbeobachtungen an ausgewählten Windenergieanlagen durchgeführt. Während die Verhaltensmuster von Greifvögeln direkt beobachtet werden können, bedarf es für die Untersuchungen der Biologie der Fledermäuse technisch anspruchsvoller Methoden, deren sichere Handhabung eine entsprechende Einarbeitungszeit voraussetzt. Hier sind vor allem bioakustische Nachweisverfahren zu nennen, die eine indirekte Einschätzung sowohl des Artenspektrums als auch der relativen Häufigkeit der meisten in diesem Gebiet vorkommenden Fledermausarten ermöglichen.
Zum Spektrum der auf diese Weise nachgewiesenen Fledermausarten gehören auch solche Arten, die im Zuge der Todfundsuche nicht in Erscheinung traten. Hierzu zählen z. B. die Fransenfledermaus (Myotis nattereri) und die Langohrfledermaus (Plecotus spec.). Offenbar sind artspezifische Strategien des Nahrungserwerbs und das vorhandene Beutespektrum dafür verantwortlich, dass einige Fledermausarten während ihrer Jagdflüge nicht in die Nähe der Rotoren gelangen.
Die Erkenntnisse aus diesem Langzeitprojekt könnten auch vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen einen Beitrag leisten: Anfang dieses Jahres wurde ein Volksbegehren zur Einschränkung von Windkraftanlagen beim Brandenburger Landtag eingereicht. Kritiker und Befürworter der Windenergienutzung führen z. T. scharfe Debatten. Um sowohl den Anforderungen an den Klimaschutz als auch dem Erhalt biologischer Vielfalt zu entsprechen, bedarf es innovativer Strategien zum weiteren Ausbau und Betrieb von Windenergieanlagen. Dabei sollte eine Versachlichung der Problematik im Vordergrund stehen. Nur wenn die unterschiedlichen regionalen Standortvoraussetzungen und die Erkenntnisse über die Bedürfnisse verschiedener Organismengruppen bei der Planung von Windparks adäquat berücksichtigt werden, kann eine naturverträgliche Nutzung der Windenergie gewährleistet werden.