Umweltbüro Lichtenberg

Waldriesen im Rothaargebirge

Der Rückgang der Wisentbestände, ursprünglich fast in ganz Europa bis zum Kaukasus verbreitet, hat seine Ursache in der immer intensiveren zivilisatorischen Nutzung – auch die Waldgebiete waren im 15./16. Jahrhundert in vielen Teilen Deutschlands bis auf Relikte geschrumpft. Das wurde auch der zweiten in Deutschland ursprünglich beheimateten Wildrindart zum Verhängnis – der Ur oder Auerochse starb nahezu zeitgleich in Europa aus und konnte im Gegensatz zum Wisent nicht in Wildgattern überleben.

Wenn heute über Wildnis und unberührte Natur in Deutschland gesprochen wird, denken die wenigsten daran, welche Rolle die Großtiere (Megafauna) für die Entwicklung der nacheiszeitlichen Landschaft gespielt haben. Es gab eine komplizierte Lebensgemeinschaft zwischen Wisent, Auerochse, Elch und Rothirsch auf der einen Seite und Bär, Luchs und Wolf auf der anderen. Die großen Herden der Wildrinder beeinflussten die Vegetation und trugen dazu bei, bewaldete Bereiche aufzulichten. Heute versuchen Naturschützer mit Beweidungsprojekten, diesen archaischen Zustand wieder herzustellen. Die Wiedereinbürgerung (Wisent) oder die Wiedereinwanderung (Elch) könnten dazu beitragen, dass sich in den Wäldern auf natürliche Art die ursprünglichen artenreichen Waldgesellschaften entwickeln.

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Wisente sind im Waldgebiet des Rothaargebirges nur schwer auszumachen


Die Rettung des Wisents ist eine der Erfolgsgeschichten des Naturschutzes und zeigt, wie bedeutsam vor allem bei größeren Tierarten die Haltung von Wildtieren in Menschenhand sein kann. Fast 100 Jahre vor der Freisetzung der Herde im Rothaargebirge starb der letzte Flachlandwisent am 12. April 1919 aus – es wurde gewildert. Der Kaukasuswisent, eine eigene Unterart, überlebte in der freien Natur noch bis 1927. Da Wisente in der Vergangenheit auch als Jagdwild beliebt waren, gab es zum Glück noch 54 überlebende Tiere in Tiergärten und Wildparks. Im Jahr 1923 wurde auf dem ersten Naturschutzkongress in Paris die Internationale Gesellschaft zum Schutze des Wisents gegründet. Dank der Tätigkeit dieser Gesellschaft leben heute wieder rund 4500 Wisente, davon 66 % in freier Wildbahn. Allerdings stammen sie von nur knapp 20 Tieren ab – die Population ist damit genetisch verarmt und theoretisch reicht eine Krankheit aus, um sie gegebenenfalls auszurotten. Diese Gefahr besteht in der Praxis z.Z. wohl nicht, da die wildlebenden Tiere auf 33 Reservate verteilt in Polen, Weißrussland, Litauen, Russland, der Ukraine, Rumänien, der Slowakei und nun auch in Deutschland leben. Die Weltpopulation gilt aber damit als nicht gesichert und es besteht sowohl das Erfordernis sie zu vergrößern, als auch im Rahmen eines Biotopverbundes den Austausch zwischen Reservaten zu ermöglichen – eine große Herausforderung, da inzwischen alle ehemaligen Lebensräume des Wisents von Menschen mehr oder weniger intensiv genutzt werden und durch vielfältige Barrieren zerschnitten sind.

Dass in Deutschland ein solches Projekt überhaupt möglich war, ist glücklichen Umständen zu verdanken. Für den staatlichen Naturschutz wäre es wohl nicht zu stemmen gewesen. Richard Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg ist nicht nur begeisterter Naturschutzschützer, sondern auch der größte Waldbesitzer in Nordrhein-Westfalen. Seine 13.000 ha Waldfläche, sein Vermögen und sicher auch sein Einfluss auf die kommunale Politik waren die Grundlage für den erfolgreichen Start des Wisentprojektes. Gemeinsam mit dem Naturschutzverein TAURUS NATURENTWICKLUNG e.V. initiierte er 2003 das Projekt und gewann schnell das Bundesamt für Naturschutz (BfN) und die Zoologische Gesellschaft Frankfurt (ZGF) als Verbündete. Auch der Kreis Siegen–Wittgenstein und die Stadt Berleburg wurden von Anfang an einbezogen. So profitieren nicht nur die Naturschützer von dem Projekt, sondern auch der Tourismus und die gesamte Region. Was bisher als unvorstellbar galt – es ist jetzt Realität. Mitten in Deutschland, in einem normal besiedelten Mittelgebirge, leben diese großen Wildtiere frei und könnten jederzeit auf Wanderung gehen – z.B. nach Berlin. Dass sie es nicht tun, war allerdings vorhersehbar. Die ursprünglich acht Tiere umfassende Herde wurde unter wissenschaftlicher Begleitung nicht nur auf das Leben in Freiheit vorbereitet, sondern in einem speziellen Gehege auch auf mögliche Konfliktsituationen. Die Ergebnisse wurden öffentlich gemacht und wenn es zwar keine Volksabstimmung zur Freisetzung gab, die Zustimmung der Bevölkerung war groß. Bei zwei Umfragen lagen die Werte im Kreis Siegen–Wittgenstein bei 68,2 % und später 72,3 %, im benachbarten Hochsauerland bei 73,0 % und später 52,5 %. Die befragten Wanderer freuten sich stärker und stimmten mit 92,1 % für die mögliche Begegnung mit den großen Wildtieren. Größere Bedenken kamen von Forst- und Landwirten.
Das vorgesehene Projektgebiet umfasste 5000 Hektar, das weiß die Wisentherde aber nicht. Jedenfalls taucht die Herde auch schon mal außerhalb des Projektgebietes auf und steht dann so einfach auf einem Waldweg herum. Das dämpft dann schon mal die Begeisterung des einen oder anderen Wanderers, der sich dann auf den Rück- oder Umweg machen muss. Unfälle oder Schadensfälle sind bisher nicht bekannt geworden. Für die Zoologen ist das Projekt ein Glücksfall, da Freilandforschung an Wisenten in Deutschland ansonsten nicht möglich wäre. Damit die schau- und abenteuerlustigen Touristen die Herde nicht zu stark belagern, gibt es das Projekt „Wisentwelt am Rothaarsteig“ in der Nähe von Bad Berleburg. Hier lebt eine kleine Wisentherde in einem 20 Hektar großen Areal inmitten eines Waldgebietes. Um das Gelände führt ein Erlebnispfad und es gibt ein kleines Informationszentrum, der Aufbau war im Sommer 2014 noch nicht abgeschlossen. Die Tour auf dem Erlebnispfad dauert rund zwei Stunden, die Wisentherde soll eigentlich immer von einem der Randbereiche aus sichtbar sein. Und wenn dann einer der Besucher einen Wisent entdeckt hat, bildet sich schnell eine Gruppe, die andächtig den großen Waldriesen beim Äsen zuschaut.
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Unverwechselbar ist der Eingang zur Wisentwelt bei Bad Berleburg


Werden ausgehend vom Rothaargebirge nun die Wisente ganz Deutschland besiedeln? Die Antwort auf diese Frage ist ein klares Nein. Die Herde soll auf maximal 25 Tiere anwachsen. Tiere, die nicht in die Sozialstruktur passen, werden vorbeugend entfernt und in andere Reservate gebracht. Derzeitig ist an eine Ausweitung an anderer Stelle nicht gedacht. Die intensive wissenschaftliche Betreuung des Projektes wird Ergebnisse bringen, die dann für die Zukunft des Wisents in Deutschland richtungsweisend sind. Das Bundesamt für Naturschutz hat hier schon mehrere Projektberichte veröffentlicht. Andere Vertreter der Megafauna kommen von selbst. Vor zwei Jahren wurde ein Elch in der Nähe von Erkner auf der Autobahn tödlich verletzt, auch der Fahrer des Kraftfahrzeugs wurde schwer verletzt. Das Tier hätte ohne Unfall womöglich die Berliner Forste erreicht. Die erfolgreiche Wiedereinbürgerung der großen Wildtiere wird auch davon abhängen, ob es gelingt, Wildunfälle so weit wie möglich zu vermeiden. Das ist aber nicht nur ein Problem von Elch und Wisent, denn Zusammenstöße mit Reh oder Wildschwein können ebenfalls verhängnisvoll sein. Wer nicht so lange warten will, bis der Wisent auch Brandenburg erreicht hat, dem sei der Besuch im Tierpark Berlin empfohlen, wo Wisente schon seit langem erfolgreich gezüchtet werden. Damit leistet auch der Tierpark einen Beitrag zur Erhaltung der faszinierenden Waldriesen.
Dass das Wisentprojekt im Rothaargebirge nicht nur Freunde hat, zeigt ein Urteil des zuständigen Amtsgerichts, das einem Waldbesitzer, der gegen Schäden der Wisente klagte, Recht gab. Allerdings nicht in dem Maße, wie es fälschlich in einigen Medien berichtet wurde. Die hatten erklärt, dass "Wisente nicht mehr frei durch die Wälder streifen dürfen". Das betraf nur das Waldstück des Klägers, die Wiederausbürgerung des Wisents wurde damit nicht grundsätzlich in Frage gestellt.Der Trägerverein Wisent-Welt-Wittgenstein legte dagegen bereits Berufung ein. Er hat im letzten Jahr Waldschäden in Höhe von etwa 30 000 € an private Waldbesitzer beglichen - die Begleichung der Wildschäden war von Anfang an Bestandteil des Projektes.

 

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