Umweltbüro Lichtenberg

Das leise Sterben

Mitnichten. Immer mehr Studien belegen, dass die Wirkung einer Substanz mit Methoden untersucht wird, die die tatsächlichen Folgen seiner Anwendung in der Praxis nicht abbilden können. Dazu muss man wissen, dass die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA), die prüft, ob ein Pestizid schädlich für die Gesundheit von Mensch und Tier ist, mit dem zentralen Wert „LD 50“ arbeitet. Er gibt an, bei welcher Menge des Wirkstoffs für 50 Prozent der Versuchsobjekte die letale, also tödliche Dosis erreicht ist. Als Stellvertreter für Fluginsekten werden Honigbienen mit dem Wirkstoff behandelt und 24 oder 48 Stunden später die toten und lebenden Bienen gezählt.    

Doch was passiert in der Realität? Wie verhält sich der Wirkstoff in der Natur? Wie wirkt er auf andere Insekten? Das muss kein Hersteller nachweisen. Das zeigt sich erst, wenn der Wirkstoff längst zugelassen ist. Spätere Verbote lösen das Problem nicht, wie das Beispiel DDT zeigt: Dichlordiphenyltrichlorethan, einst das meistverwendete Insektizid der Welt, ist wegen seiner schädlichen Auswirkungen in den meisten Industrieländern seit den 1970er Jahren verboten. Doch noch immer lässt es sich nahezu überall, auch in unseren Körpern nachweisen. Das Problem ist also nicht allein die Toxizität einer Substanz sondern auch ihr Verbleib in der Natur.   

Als erste schlugen die Imker in Amerika und Europa Alarm. Sie beobachten ein unerklärliches Bienensterben immer größeren Ausmaßes. Doch das Sterben beschränkt sich nicht nur auf die Bienen. Entomologen erfassen seit mehr als 100 Jahren die heimische Insektenwelt. Wo immer Forscher Langzeitdaten über das Vorkommen von Insektenarten sammeln, melden sie drastische Verluste. Bei den Krefelder Insektenkundlern gingen in den letzten 20 Jahren die Zahlen um 70, 80, 90 Prozent zurück. Ökologen berichten von Kontrollgängen durch die Auen der Isar, bei denen sie 2016 14 Spezies finden. 10 Jahre vorher entdeckten sie noch 58.  

Das widerspricht allen Bemühungen zum Erhalt der Biodiversität. Autofahrer können diese Entwicklung am Sauberbleiben ihrer Frontscheibe nach längeren Fahrten ablesen, auch auf den Wiesen ist das Summen leiser geworden.
       

Auf der Suche nach der Ursache für diese fatale Entwicklung gelangen die Neonicotinoide in den Focus. Die ersten Mittel dieser Stoffklasse kamen Anfang der 1990er Jahre auf den Markt, heute gehören sie zu den meistverkauften Pestiziden weltweit. Ihr Wirkstoff ist ein Nervengift, das tierische Schädlinge töten soll. Bauern kaufen mit Neonicotinoiden ummanteltes Saatgut, Gärtner behandeln Bäume und Blumen mit diesen Substanzen und auch Mittel, mit denen man Parasiten bei Haustieren bekämpft, enthalten einen Wirkstoff dieser Gruppe.            

Die Insektizide breiten sich in der Pflanze aus, durch Pollen und Nektar gelangen sie dann in den Organismus ihrer Bestäuber. Feldversuche mit Bienen zeigten, dass die Arbeiterinnen, die behandelte Rapsfelder anflogen, die Orientierung verlieren. Sie finden ihren Stock nicht mehr und sterben schließlich an Erschöpfung. Bei wild lebenden Insekten scheinen sie Fruchtbarkeit und Paarungsverhalten zu stören. Es mehren sich Beweise, dass zahlreiche Insekten noch empfindlicher auf die Neonicotinoide reagieren als die Honigbiene.

Auffällig ist, dass diese Beobachtungen mit einem sprunghaften Anstieg des Verkaufs neonicotinoidhaltiger Pestizide zusammenfallen: von 652 Tonnen im Jahr 2006 auf 1.656 Tonnen 2007. Und mit dem ummantelten Saatgut gelangen große Mengen des Wirkstoffs unter die Erde, nur fünf Prozent werden von der Pflanze aufgenommen, der Rest verbleibt im Boden. Unglücklicherweise sind Neonicotinoide wasserlöslich, was für Insektizide eher ungewöhnlich ist. So gelangen sie auch in die weitere Umgebung ihres Anwendungsgebietes und in Gewässer. Bedenklich ist auch ein weiteres Merkmal: Sie zerfallen nur langsam. Abhängig von der Bodenbeschaffenheit brauchen sie bis zu 1.000 Tage, um sich zur Hälfte abzubauen. Das heißt, sie reichern sich im Boden an. 

Drastische Konsequenzen aus dieser alarmierenden Entwicklung aber lassen auf sich warten. Innerhalb der EU hat bisher nur Frankreich ein Verbot für 2018 angekündigt. In Deutschland ist 2013 der Einsatz einiger Wirkstoffe für bestimmte Anwendungsarten und Kulturen eingeschränkt worden, der Absatz der Neonicotinoide hat sich allerdings kaum verändert. Jörn Wogram, Leiter der Abteilung Pflanzenschutz im Umweltbundesamt sagt, es müssten mehr „Rückzugsflächen“ geschaffen werden, auf denen gar keine Pestizide eingesetzt werden. Gelinge das nicht, werde die Umwelt nicht ausreichend vor den Auswirkungen des Pestizideinsatzes geschützt…  

Der amerikanische Soziobiologe Edward Wilson soll einmal gesagt haben: Wenn die Menschheit unterginge, würde die Welt in den reichen Zustands des Gleichgewichts zurückpendeln, der vor 10.000 Jahren existierte. Ohne Insekten aber würden die Ökosysteme kollabieren.          

Inzwischen liegen dem Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit drei Anträge auf Genehmigung sulfoxaflorhaltiger Insektizide vor, die ebenfalls ein Nervengift enthalten, das im Verdacht steht, auf Bienen hochtoxisch zu wirken.

 

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